CW03 Wohnort

C: Zur Zeit wohnen Sie…
W: …auf der Wotanstraße.
C: Wie lange wohnen Sie schon dort?
W: Wir wohnen da seit 1975, und ich habe immer in Lichtenberg gelebt.
C: Stand für Sie denn je die Frage im Raum in welches Gebiet man in Berlin zieht?
W: Hier gab es die Wohnmöglichkeit. Wir haben vorher in Karlshorst gewohnt, und aufgrund der Kinder sind wir in die Frankfurter Allee gezogen, um eine größere Wohnung zu haben, und als die Kinder dann groß, reif und flügge waren, sind wir in eine kleinere Wohnung gezogen.
Das, was hier jetzt gemacht wird, sind Sanierungsarbeiten. Das wird einem doch bewusst, und was einem noch bewusst wird ist die Sanierung unserer Straße. Ich wohne ja hier unten. Hier ist ja ein bisschen was gebaut und saniert worden, so dass es eben einen Klientelwechsel an Bewohnern gab.
C: Inwiefern?
W: Naja, sagen wir mal so: Durch die Sanierung sind die Wohnungen ja so aufgearbeitet worden, dass sie von einfach strukturierten und mit finanziellen Grundlagen schwach ausgestatteten Leuten eigentlich nicht mehr bewohnt werden können.
Insofern hat sich die Struktur der Bewohner, sag ich mal, auf eine andere Ebene gestellt. Es gibt hier das Haus auf der Ecke gegenüber, da ist immer mal wieder was mit Alkohol, sag ich mal so. Das ist halt nicht saniert worden – außer mal ein bisschen Farbe an die Wand. Und es sind eben Wohnungen, die auf dem unteren Mietlevel liegen, und da spielt sich eben eine Menge ab. Also, da vergeht kein Monat, dass mal nicht die Polizei da ist, oder dass mal nicht geprügelt wird oder sonst irgendwas. Das ist so das letzte Haus auf der ganzen Straße. Ansonsten hat sich dieses ganze Wohnklientel – ich kann das schon ganz gut beurteilen, weil ich schon ganz lange da wohne – völlig verändert.
C: Sie hatten ja schon ein paar Mal erwähnt, dass das Viertel wie die Großstadt recht anonym ist, dass man mit seinen Nachbarn nicht wirklich in Kontakt steht, Würden Sie sich da etwas wünschen in der Nachbarschaft?
W: Na ja, sagen wir mal: Das ist schon noch ein bisschen anders: Also bei uns im Nachbarhaus beobachten wir schon über Jahre hinweg, dass die so Hoffeste machen und zusammensitzen.
Das gibt es schon, aber nicht in unserem Haus. Es liegt wahrscheinlich an der Struktur: Bei uns im Haus wohnen sehr viele ältere Leute, so wie wir auch, und wir sind am Wochenende kaum da, weil wir immer auf dem Grundstück sind, dann ergibt sich das nicht so. Meine Frau arbeitet drei Schichten, ich bin auch immer erst spätabends zu hause. Man unterhält sich zwar im Haus, wenn man sich trifft, sagt »Guten Tag«, aber es sind wenige Mitbewohner, mit denen man regelmäßig und länger kommuniziert. Berlin ist eine anonyme Stadt.
Bei uns im Haus wohnt eine alte Dame, die sehe ich im Jahr vielleicht drei Mal, und alle anderen würden das genauso sagen. Und wenn die keine Familie hätte und würde irgendwann in der Wohnung sterben, dann würde es Wochen oder Monate dauern, bevor jemandem auffällt, dass sie nicht mehr da ist. Das ist Berlin.