07 Freiraumsuche

07 Freiraumsuche

FREIRAUMSUCHE

von Irene Kriechbaum und Sarah Bäcker

Lokaler Experte: Sebastian Herrling

Sebastian kommt ursprünglich aus Marzahn und hat 7 Jahre im Kiez gewohnt, bis Investoren sein Haus aufkauften und in Eigentumswohnungen umwandelten. Da ist er gegangen. Nach Friedrichshain. Eine Art Gegenbewegung zu dem heute wohl üblicheren Weg: die Menschen ziehen nach Lichtenberg, weil ihnen Friedrichshain zu teuer, zu laut, zu touristisch geworden ist.Was er aufgibt, ist ein Stück Freiheit, seinen Garten, seine Ungestörtheit.

« Im alten Haus war es kalt, aber keiner hat mir Ärger gemacht. Dann ging es los mit dem großen Ausverkauf. Da wusste ich, ich werd wohl nicht mehr mein idyllisches Paradies im Hof haben. Mit Hollywoodschaukel und Apfelbäumen. War schön. Die Hollywoodschaukel, die vorm Laden steht, wisst ihr? Ich hatte ja keinen Hof mehr und wusste nicht wohin damit, da hab ich sie einfach dort hingestellt . »

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Auch heute zieht es ihn jeden Tag zurück nach Lichtenberg. Er arbeitet als Koch im Bioladen „NaturPur“ an der Frankfurter Allee. Früher war er Stammkunde, jetzt verwandelt er Gemüse und Gewürze in immer neue Suppenkreationen. Dort treffen wir ihn das erste Mal.

« Ich find unseren Picknicksort ganz toll. Hier hat man praktisch keinen Durchgangsverkehr. Die Bahntrasse und die Frankfurter Allee bilden eine Art Schutzwall. Hinten schotten Krankenhaus, Gewerbegebiet und Herzbergepark den Kiez ab. Du hast quasi ein U, welches das Wohngebiet umfasst. Das ist hier wie eine Insel, eine Oase. »

Der Picknickort

Unsere Picknickdecke breiten wir auf einem dreieckigen Stück Land aus, das sich zwischen Gudrun-, Kriemhild- und Rüdigerstraße aufspannt. Wild wuchert das Gras. Ein Stück Freiheit zwischen Friedhof, Gleisen und Wohnbebauung. Früher wiesen offizielle Schilder den Ort als geschützte Grünanlage aus. Nach der Satzung durften diese nur so benutzt werden, „wie es sich aus der Natur der einzelnen Anlage und ihrer Zweckbestimmung ergibt“( § 6, GrünanlG). Zu diesen Regeln zählt unter anderem auch die Leinenpflicht für Hunde. Verstöße werden gemahnt. Über die Einhaltung der Regeln wachten eifrige Nachbarn. Kein freilaufender Hund entging ihnen. Prompt wurde das Ordnungsamt informiert und rückte an. Ermüdet von den unablässigen Einsätzen ging man schließlich einen höchst pragmatischen Weg: Man entfernte das Schild und den damit verbundenen Regel-
katalog. Was bleibt, ist ein undefinierter Ort, zu allen Seiten offen.

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Der Kiez

« Friedrichshain ist zu voll geworden. Und zu hipstermäßig. Viele Leute haben da keine Lust mehr drauf. Jetzt ziehen viele Leute in den Kiez hier, gerade genau in diesen Teil. Hier sind die schöneren Wohnungen von Lichtenberg mit hohen Decken, eher bürgerlich, nicht so die Arbeiterwohnungen wie im Weitlingkiez.»

Sebastian hat die Veränderung im Kiez in den letzten Jahren miterlebt. Er sieht den Zuzug unvoreingenommener Menschen  positiv, da so Vorurteile über Lichtenberg relativiert werden. Noch ist es ein Kiez,  der nicht so im Fokus steht und dadurch auch geschützt ist. Durch die Veränderung öffnen sich Türen. Es kommen Leute, die offener sind.

«Es bedarf Mut, hier mit was Neuem anzufangen. Und dann ziehen vielleicht andere nach. Wir müssen flexibel sein. Wenn sich die Dinge ändern muss man schnell schalten. Umbauen, was wagen.»

 

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Kreispanorama am Picknickort

Zum Objekt

Die Topographie unserer Picknickwiese ist geprägt durch die Löcher, die zahlreiche Hunde in den letzen Jahren gegraben haben. Durchs hohe Gras fast vollständig verborgen verteilen sich die bis zu 60 Zentimeter tiefen Gruben über das gesamte Areal. In unserer Intervention haben wir einige dieser Löcher abgegossen und die Negativform neben ihrem Original platziert. Das Abformen als Methode der Spurensicherung  dient hier dazu, die Geschichte des Ortes zu erzählen.

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Durch das Invertieren der Hundelöcher zu Hundehügeln werden die Spuren der Nutzung sichtbar. Die weißen Berge ragen aus den Gräsern und laden dazu ein, sich auf sie zu setzen und zu rasten. Die Hundewiese ist ein äußerst kommunikativer Ort.

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Die Hundebesitzer des Kiezes treffen sich hier und tauschen sich aus. Über ihre Hunde, das Leben im Kiez und natürlich auch über die Zukunft der Wiese. Was sie eint ist die Angst vor dem Verlust dieses Stückchens Freiheit. Mit unserer Intervention möchten wir den Blick auf die jetzt schon vorhandenen Qualitäten des Ortes lenken.

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Irene  Kriechbaum und Sarah  Bäcker

Sarah Bäcker (32) kommt aus dem Ruhr-gebiet und hat für eine Zeit selbst in Lichtenberg gewoht. Irene Kriechbaum (26) ist aus Österreich und neugierig, den Kiez besser kennenzulernen. Beide studieren Visuelle Kommunikation im Master an der UdK.

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