01 Picknick am Nichtort

01 Picknick am Nichtort

PICKNICK AM NICHTORT

von Carole Deslous-Paoli und Noemi Barnet

 Ute und Arthur unsere beiden lokalen Experten

Ute ist seit 2005 als Straßensozialarbeiterin im Bezirk Alt-Lichtenberg tätig.
Eine ideale Expertin, finden wir, da sie aufgrund ihrer Arbeit vor allem im öffentlichen Raum von Alt-Lichtenberg unterwegs ist und mit vielen Bewohnern aus dem Kiez in Kontakt kommt.

Arthur studiert „Soziale Arbeit“ und absolviert im Rahmen seines Studiums ein Praktikum in dem Jugendcafe „Maggie“ in der Frankfurter Allee 205 in Lichtenberg.

Das Cafe Maggie ist ein selbstverwaltetes Jugendcafe an der Frankfurter Allee. Es ist ein Ort der Begegnung und gibt jungen Leuten Raum für kreative Ideen, Konzerte, Lesungen und eine Kiezküche. Den Schülern und Studenten werden bezahlbare Getränke und Mahlzeiten angeboten.

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Ute und Arthur vom Café Maggie 

Ein Nichtort für ein Picknick

An der Ecke Alfredstraße und Frankfurter Allee liegt ein kleines, undefiniertes viereckiges Grundstück, das mit einem niedrigen, verschnörkelten Eisenzaun begrenzt ist. Warum haben wir diesen unscheinbaren Ort für unser Picknick gewählt? Er ist durch keine klare Identität, Relation oder eine Geschichte gekennzeichnet. Er ist ein „Nichtort“. Nach schweren Zerstörungen im zweiten Weltkrieg wurden in der DDR Plattenbauten entlang der Frankfurter Allee errichtet. Diese Ecke ist wahrscheinlich unbebaut geblieben, weil das Grundstück im vorgefertigte Raster übrig blieb. Wir wollen diesem Ort auf die Spur kommen.

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 Ecke Alfredstraße und Frankfurter Allee

Ein Picknick im Regen

Wir wollen den Ort besetzten indem wir
ihn „begrillen“. Doch es regnet. So richtig und durchgängig. Wir trotzen dem Regen mit Schirmen, einem Teppich, Getränken und Popcorn. Wir wollen den Ort kennen lernen und unsere Experten machen freundlicherweise mit. In unserer ersten Frage möchten wir wissen, ob sie eine Geschichte mit unserem Picknickplatz verbindet.

«Eine Geschichte zu diesem Ort? Schwierig. Ich bin hier noch nie durchgelaufen. Oder geblieben. Nur immer daran vorbei, er liegt auf meinem Heimweg zwischen dem Maggie und meiner U-Bahnstation. Eigentlich ist er mir nie aufgefallen obwohl ich täglich vorbei gehe», erzählt uns Arthur.

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Ein Picknick im Regen

Eine Aneignung des Grundstücks erfolgt über einen Weg, den sich die Anwohner gebahnt haben. Eine kleine Abkürzung. Fast marginal ist die Einsparung an Metern. In der MItte stehen ein Lüftungsrohr und der trostlose Rest einer Telefonzelle unter einem schönen Baum. Auch Ute fehlt ein Bezug zu diesem Ort. Normalerweise würde sie sich hier nicht hinsetzten wollen. Lachend meinte sie aber, dass unser besonderer Aufenthalt hier nun ihre Verbindung mit dem Platz herstellt. Arthur bemerkt dazu, dass es generell in Lichtenberg kaum gute Aufenthaltsmöglichkeiten im Außenraum gibt. Besonders für Jugendliche. Zudem fehlt es an Spielplätzen oder schönen Sitzgelegenheiten. Dieser Ort hier hat Potenzial: Darin sind sich beide einig.

«Freiflächen sind gut für einen Kiez. Es braucht Freiräume für den Aufenthalt. Lichtenberg hat einige, aber sie könnten viel einladender sein. Orte, an denen die Anwohner nicht einfach vorbeilaufen.»

Lichtenberg hat durch die Mischung von Altbau, 60er-Jahre-Gebäuden und Einfamilienhäusern viele Facetten. Es gibt verschiedene Initiativen, die den Bezirk positiv gestalten wollen, erzählt uns Ute.

«Die Leute hier kämpfen gegen das rechte Image des Bezirkes. Er verändert sich auch, da viele Familien und Studenten nach Lichtenberg ziehen. Durch die Sanierung und neue Wohnmöglichkeiten ist der Bezirk attraktiver geworden und zudem noch leistbarer als zum Beispiel Prenzlauer Berg.»

Plötzlich ruft Ute, als sie nach oben blickt:

«Es hängen ja Schuhe im Baum. Mindestens sieben Paar! Irgendjemand hat dem Ort schon eine Geschichte gegeben.»

Bei längerem Aufenthalt gewinnt der Ort an Charakter.Doch während bereits die zweite Krankenwagensirene wieder leiser wird, fühlt man sich entmutigt, weiter positiv über den Aufenthaltswert dieser Fläche zu denken. Von morgens bis abends ist die Frankfurter Allee eine laute Straße. Ist es hier irgendwann attraktiv?

Im Laufe des Frühlings überwachsen Pflanzen die Brache, und es entsteht ein wunderschönes Stück Wiese. Fast könnte man die laute Straße dabei vergessen.

 

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Kreispanorama des Picknickortes

Zum Objekt

Normalerweise verspricht ein Picknickort zumindest ein gewisses Maß an Idylle. Wer denkt da nicht an eine grüne Wiese, ohne Lärm oder Motorengeräusch? Nicht so hier: Wir wollten uns dieses Reststück aneignen. Eine unscheinbare Fläche markieren, die von den meisten Passanten allenfalls als Abkürzung genutzt, aber nicht als Ort wahrgenommen wird. Das offensichtlich Unsichtbare sichtbar zu machen, ist ein Versuch, einen Durchgangsort als Aufenthaltsraum aufzuzeigen. Wir bieten eine Sitzgelegenheit und eine Tauschbibliothek als Anfang.

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Der Transformierte Nichtort

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Beim Stadtspaziergang

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Die Tauschbibliothek  in der alten Telefonzelle

 

Carole Deslous-Paoli und Noemi Barnet

Carole und Noemi sind Austauschstudentinnen aus Frankreich (Grenoble) und Österreich (Wien). Sie sind bereits zum zweiten Mal mit dem lived/space/lab im Bezirk Lichtenberg unterwegs.