08 Schreiben auf dem Freiaplatz

08 Schreiben auf dem Freiaplatz

SCHREIBEN AUF DEM FREIAPLATZ

von Miriam Kadel und Sebastian Perez 

Unwetterwarnung und Sturmböen über Berlin und Brandenburg – besonders gut hat es der Himmel am 28.Mai nicht mitunseren Picknickplänen gemeint. In weiser Voraussicht schreiben wir unserer Picknickmitstreiterin und Lichtenberg-Expertin Bettina Ulbrich, um nach Alternativen im Trockenen zu fragen. Die Quiche duftet schon im Picknickkorb, als es dann auch schon draußen anfängt, aus Kübeln zu gießen. Wir trotzen dem Regen und machen uns mit Korb und Kegel auf den Weg gen Frankfurter Allee.In der Bahn meldet sich Bettina zum Glück zurück und schlägt ihre Küche für das Picknick vor. Gespannt ändern wir unsere Route Richtung Richtung ihrer Wohnung. Bettina Ulbrich empfängt uns herzlich in ihrer gemütlichen Altbauwohnung unweit vom Rathaus Lichtenberg. Dort arbeitet sie als Gebietskoordinatorin und organisiert den Austausch zwischen Stadtteil und Bezirksamt. Durch ihren Beruf ist sie in ständigem Austausch mit den sozialen und kulturellen Akteuren im Kiez, koordiniert und unterstützt Bürgerbeteiligung im Rahmen stätdtebaulicher Vorhaben. Der Tisch ist gerade gedeckt, als es an der Tür klingelt. Bettinas Schwiegermutter Hedwig Ulbrich, Lichtenbergerin seit den 50ern, stößt spontan zu unserem »Wohnungspicknick« hinzu. Auch der kanadische Sprachschüler Julian, der für ein paar Wochen hier wohnt, nimmt bei uns Platz und erzählt, dass er sogar schon im Grunewald joggen war – in Lichtenberg sei er aber noch nicht so viel unterwegs gewesen.

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» Wir haben ja auch kein Kino mehr und es ist eigentlich alles weg hier. Man kann zu Hause bleiben aber in Lichtenberg selbst kann man nicht groß was unternehmen«

Das kulturelle und soziale Angebot sei aber viel größer als man es auf den ersten Blick vermuten würde, erfahren wir dann von Bettina. Sie weiß berufsbedingt natürlich bestens über die Projekte und Veranstaltungen im Kiez Bescheid. Zehn Jahre war sie im Stadtteilmanagement für den Weitlingkiez zuständig.

 » Da hat man einen kurzen Draht zu den Leuten gehabt und gemeinsam etwas organisiert. Aber das sind meistens auch hier zu wenige, die da mitmachen.«

Das Problem sei, dass viele gar nicht wüssten, welche Initiativen und Möglichkeiten der Beteiligung es überhaubt gibt. Verantwortlich für diesen Informationsaustausch ist eigentlich das Stadtteilzentrum, das wiederum läge aber zu fern ab. Von diesem Zentrum aus ist über die Jahre zwar eine starke Vernetzung mit verschiedenen Einrichtung entstanden, die für Außenstehende aber nur schwer ersichtlich. Wir erfahren vom Bürgerhaushalt Lichtenberg, einer Online-Platform für Anwohnervorschläge und dem FAN Beirat, der den Leuten im Kiez die Möglichkeit gibt, in städtebauliche Prozesse einbezogen zu werden.

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 »Da wird schon viel versucht, aber das kommt alles zu sehr von oben. Es müsste mehr von unten kommen« 

Wir gehen zum Kuchen und Kaffee über und Hedwig Ulbrich erzählt von früher. Als die Kinder noch klein waren habe es ganz viele Nachbarschaftsfeste gegeben, nicht selten wurde der Wäsche- oder Fahrradraum als Partykeller umfunktioniert. Man hat sich zum gemeinsamen Grünanlagensaubermachen getroffen. Jetzt seien sie alle zusammen alt geworden und ohne die Kinder hätte man nicht mehr so viele Gründe, zusammenzukommen.

»Da ist dann pro Haus höchstens eine junge Partei. Bei uns ist jetzt ein Student eingezogen und eine Frau, die hab ich noch nie gesehen, die wohnt schon drei Jahre da.« 

Lichtenberg ist auf Grund von steigenden Mieten im benachbarten Friedrichshain ein attraktives Zuzugsgebiet für junge Familien geworden. Einen Austausch gibt es aber kaum, weder zwischen den Generationen noch zwischen »Ur-Lichtenbergern « und Zugezogenen.

»Ich find’s immer lustig wenn die Leute da am Müllstellplatz was stehen lassen, das noch gut ist, das kann sich der nächste dann mitnehmen. Das sind ja schon so kleine Kontaktaufnahmen, über die es aber leider meistens nie hinausgeht. Wenn man irgendwo an zentraler Stelle eine Möglichkeit des Austausches hätte – das wäre toll. Die Menschen brauchen ein konkretes Thema, etwas, das nicht so abstrakt ist« 

Bettina erzählt uns begeistert von verschiedenen Projekten im öffentlichen Raum, die sie bereits in anderen Städten gesehen hat und bietet uns an, noch auf ein Glas Rotwein zu bleiben. Als wir uns eine Stunde später auf den Heimweg machen, sind wir sehr dankbar, dass uns das Regenwetter letzen Endes noch so viel mehr Zeit für das Gespräch mit Bettina und ihrer Schwiegermutter geschenkt hat.

Zum Objekt

Schreiben im öffentlichen Raum 

Intervention auf dem Freiaplatz Der Freiaplatz ist ein Ort, an dem sich die Wege vieler verschiedener Menschen kreuzen. Dennoch verpassen sich hier vielleicht interessante Begegnungen, neue Geschichten nur um ein paar Schritte. Die Intervention ist ein Versuch, das Kommunikationspotential, das dieser Ort ohne Frage besitzt, in einem Punkt zu konzentrieren.

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Als passendes Vehikel dieser Kommunikation wurde die Schreibmaschine gewählt. Über sie als verbindendes Medium wird mit der Möglichkeit zum freien Schreiben die Voraussetzung dafür geschaffen, jedem Vorbeikommenden eine Nachricht zu hinterlassen.

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Nebenbei können die Menschen aber auch über die Aktion selbst ins Gespräch kommen. Sie haben etwas Gemeinsames gefunden, über das sie in Kommunikation treten können. Es gibt etwas, das beliebige Menschen miteinander erleben

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Miriam und Sebastian

Miriam studiert Visuelle Kommunikation mit dem Schwerpunkt Entwerfen visueller Systeme. Sie hat großes Interesse an interdisziplinärer Zusammenarbeit und daran, was Design alles sein kann.

Sebastian ist Gasthörer an der UdK und kommt aus New York. Dort hat er Wirtschaft und Jazzgitarre studiert. Ab Herbst beginnt er ein multidisziplinäres Masterprogram am Gradute Center NYC.